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Eine Nische boomt: Zur Zukunft der Smart Stores 24/7

19.07.2023 00:01 Uhr | Lesezeit: 6 min
Menschen stehen vor dem Smart Store der DHBW Heilbronn
Auf dem Campus der DHBW gibt es auch einen Smart Store, er wird Shop.box genannt.
© Foto: DHBW

Zwei Tage verwandelte sich die DHBW (Duale Hochschule Baden-Württemberg) Heilbronn zum Treffpunkt der deutschen und europäischen Smart-Store-Branche. In 24 Vorträgen erörterten und diskutierten 30 Redner aus 28 Unternehmen die Zukunft des autonomen Einkaufens. Mit zunehmendem Personalmangel ist diese Nische – ob als Grab and Go, Automated Box, Walk-in oder Automatenshop – aus der Handelslandschaft nicht mehr wegzudenken.

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Prof. Dr. Stephan Rüschen und Julia Schumacher eröffneten die RID mit dem Wunsch, dass Betreiber und Technologie-Anbieter vor allem voneinander lernen, sich austauschen und vernetzen. "Wir wollten Heilbronn für zwei Tage zum Mekka der Smart-Store-24/7-Community machen. Das ist uns gelungen", so Rüschen.


Das sind Smart Stores

Smart Stores sind unbemannte Stores, die im Normalfall 24/7 betrieben werden, eine kleine Verkaufsfläche haben und bei denen man bargeldlos zahlt.



Alle Smart-Store-Konzepte mit ihren unterschiedlichen Ausprägungen bieten Lösungen für dringende Probleme im Handel: den Personalmangel, die Unterversorgung der ländlichen Gebiete, ein sich änderndes Konsumverhalten und verwaisten Innenstädten. Trotz eines verhaltenen deutschen Markts und skeptischer deutscher Konsumenten hat sich die Nische etabliert: Mittlerweile gibt es deutschlandweit über 80 verschiedene unbemannte Smart-Store-Konzepte und fast wöchentlich kommt ein neuer hinzu.

Grab and Go – der Mercedes unter den Smart Stores

Ob sich die Grab-and-Go-Konzepte in Deutschland durchsetzen werden, weiß keiner. Denn bisher befinden sich diese Lösungen immer noch in der Experimentierphase. Auch im Nachbarland Österreich ist das Echo am Markt eher schwach: Hauptsächlich kleine Händler haben eigene Lösungen entwickelt und verkaufen vor allem regionale Produkte über Automatenshops oder per Self-Check-out, wie Marina Staab von der FH Steyr in der aktuellen Studie gemeinsam mit der DHBW Heilbronn feststellte.

Christoph von Lingner vom Anbieter GK Software sieht vor allem in der Verbindung mit Loyality-Programmen eine große Chance: Die installierte KI kann dem Kunden genau zur richtigen Zeit die richtigen Produkte anbieten.

Mit über 60 Stores in ganz Europa ist Zabka Nano unangefochten die Nummer 1 auf dem Kontinent. Mit einer ständigen Anpassung ihrer Sortimente an die Kundenprofile und Standorte (Sportgeschäft, Fitnessclub, Wohnheime, U-Bahn), einer konsequenten Auswertung des KI-Feedbacks und einer Vereinheitlichung des Store-Layouts hat Zabka geringe Betriebskosten und eine hohe Kundenloyalität geschaffen.

Rasante KI-Entwicklung treibt den Markt

James Sutherland (CEO von Autonomo in Hamburg) ist davon überzeugt, dass der Technologie-skeptische Deutsche nicht nur lernfähig ist, sondern sein muss – denn mittlerweile erobern neue KI-Entwicklungen alle ein bis zwei Monate den Markt. Eine Entwicklung, die von allen Branchen – da ist sich Sutherland sicher – vor allem den Handel treffen wird. Mittlerweile kann die KI in den unbemannten Stores Vorgänge abbilden, die vorher nicht denkbar waren: Indem die KI das Produkt konsequent einer Person zuordnet, ist es auch möglich zu erkennen, wenn das Produkt von einer Person zu einer anderen weitergereicht wird.

Beim technischen Fortschritt ist PIxevia aus Litauen ganz vorn dabei. Für Betreiber eines Stores bietet die Firma mit 3-D-Mapping die Möglichkeit, schnell und einfach vorhandene Stores mit KI aufzurüsten und so das Einkaufserlebnis des Kunden zu verbessern.


Akribische Dokumentation

Seit über zweieinhalb Jahren begleitet die DHBW Heilbronn mit Prof. Dr. Stephan Rüschen und Julia Schumacher das Thema Smart Stores 24/7. Entstanden sind mittlerweile 30 Projekte mit Studenten des Studiengangs BWL-Handel, Social-Media-Präsenzen auf Instagram, LinkedIn, YouTube und Tiktok, eine eigene Webseite, 13 Podcasts, vier Whitepaper und eine Liste, die ständig aktualisiert wird und jede Entwicklung akribisch dokumentiert.



Ländliche Gebiete sind unterversorgt

In Deutschland sind inzwischen mehr als 8.000 ländliche Gebiete unterversorgt. Um die Lücke zu füllen, ersetzt Tante Frieda 24/7 mittlerweile den Tante-Emma-Laden. Jan Stroh von der Fleischerei Stroh startete im Saarland das Experiment mit zwei verschiedenen Smart-Store-Konzepten. Doch der vollautomatisierte Container in Theley erreicht noch nicht die benötigte Frequenz.

Ganz anders der 24/7 Supermarkt in Wahlen: Der kommt an – auch bei den Senioren, für die extra ein Nottelefon eingerichtet wurde. Damit auch Oma Frieda- die Ideen- und Namensgeberin des Projekts – ohne technologische Barrieren einkaufen kann.

Doch nicht nur als Nahversorger auf dem Land, sondern als Anziehungspunkt in der Innenstadt können Automated Boxes funktionieren. Im Zentrum von Offenburg starteten Jonas Dübon von Edeka Südwest und Matthias Kurz von Knapp Smart Solutions einen erfolgreichen Piloten: Ob für das Tinder-Date, den Noteinkauf oder die spontane Grillparty – die Produkte aus der Box gehen vor allem freitags und am Wochenende. „Das Produkt Nummer eins ist Paulaner Spezi“, so Dübon.


"Das Produkt Nummer eins ist Paulaner Spezi."

Jonas Dübon, Edeka Südwest


Dem Roboter beim Arbeiten zusehen

Während der Kunde auf die Einkäufe wartet, kann er dem Roboter durch eine Glasscheibe beim Arbeiten zusehen. Dübon ist überzeugt: „Der Einkauf fühlt sich für den Kunden schneller an.“

Obwohl die Automated Box eine andere Zielgruppe als die Wochenendeinkäufer mit einem Durchschnitts-Bon von 200 Euro anspricht, sehen Dübon und Kurz hier einen Wachstumsmarkt: Gerade in Verbindung mit dem Online-Store ist die Box noch ausbaufähig. Momentan nutzen die Kunden den Onlineshop allerdings eher als Schaufenster als zur Vorreservierung.

Late Bird Deutschland ist seit 2018 in der Entwicklung und adressiert viele Kundenwünsche: Die Artikel werden nach Größe und Gewicht gestaffelt und ausgegeben – damit die Chips nicht unter dem Gewicht der Sektflasche zerbröseln. Ausgestattet mit einer maschinenlesbaren Zone kann das Late Bird System auch gefälschte Ausweise erkennen und somit eine valide Alterserkennung zum Beispiel für alkoholische Produkte durchführen. 

Auch MCS mit seinem CEO Torsten Eichinger hat den Offenburger Markt für sich entdeckt. Die Box steht allerdings im Gewerbegebiet und das brachte Überraschungen in der Zielgruppe mit sich: nicht die MCS-Firmenmitarbeiter, sondern die Lkw-Fahrer der umliegenden Speditionen sind mittlerweile Hauptabnehmer. Aber auch die Partygänger der Clubszene versorgen sich gern nachts mit Bifi, wenn alle anderen Läden geschlossen sind. So ergaben sich für das Betreiberteam der MCS-Azubis und dualen Studierenden ganz neue Möglichkeiten: Die Box ist mittlerweile Testmarkt für brandneue Energy-Drinks, die noch vor Markteinführung dort erhältlich sind. Eichinger ist überzeugt: Wer neue Märkte erschließt, muss sich anpassen. Aber dann sind den Smartstores keine Grenzen gesetzt: Ob Waschanlagen, Tankstellen, Autohöfe oder der Kiosk um die Ecke – die Nachfrage nach autonomen Lösungen wird wachsen.


"Wir müssen mehr über den Nutzer lernen, ohne in die Privatsphäre des Nutzers einzudringen."

Claudia Armbruster, Vice President Innovation Wanzl


Hilft Technik der Profitabilität?

Die Referenten des zweiten Tages waren sich einig: Der Personalmangel in der LEH-Branche beschleunigt die Digitalisierung und Automatisierung von Shops. Automaten sollen intelligenter werden und dürfen kein Widerspruch mehr zur Distribution von frischen Produkten sein. Neue Software und Technologien sollen in Zukunft das Einkaufen im Supermarkt oder an Automaten verbessern und vereinfachen. Doch ist es am Ende auch rentabel?

Claudia Armbruster, Vice President Innovation beim Einkaufswagenhersteller Wanzl, ist sich sicher: Smart-Store-Konzepte können nur dann funktionieren, wenn von Anfang an der Nutzer mit seinen individuellen Bedürfnissen im Mittelpunkt stehe. „Wir müssen mehr über den Nutzer lernen, ohne in die Privatsphäre des Nutzers einzudringen“, beschreibt sie die Herausforderung. Denke man die Automatisierung zu Ende, müsse man sich fragen, ob wir in Zukunft überhaupt noch einkaufen gehen werden. „Der Endnutzer will ein Vollsortiment“, daher müsse man auch über hybride Lösungen nachdenke, etwa frische Produkte vor Ort, eine Abholmöglichkeit oder den Versand der restlichen Waren.

Handelsexperte Rüschen, Initiator und Moderator der Retail Innovation Days, gibt zu bedenken: "Die Welt ist nicht immer so disruptiv, wie wir das auf der Bühne vermuten". Die Kunden würden häufig nur sehr langsam ihr gewohntes Verhalten ändern und sich an eine neue Art des Einkaufens gewöhnen.


""Die Welt ist nicht immer so disruptiv, wie wir das auf der Bühne vermuten""

Prof. Dr. Stephan Rüschen, DHBW Heilbronn


Bestehende Bezahlsysteme nutzen

Diese Erfahrung musste auch Alexander Palnik, CEO Syreta mit den aktuell 31 realisierten Smart-Store-Projekten machen. Die heutige Technik ermögliche vieles, jedoch sei die größte Hürde der Vorbehalt der Kunden. Der Umsatz der eigenen Smart Stores habe sich erst dann um 75 Prozent gesteigert, als die Nutzer ohne vorherigen Download der App im Laden einkaufen konnten. Für das Ein- und Auschecken genügt jetzt eine Kredit- und EC-Karte. Zudem müssten je nach Standort des Smart Stores sehr genau das Sortiment auf die Bedürfnisse der Kunden abgestimmt sein: Die Nahversorgung der ländlichen Bevölkerung sicher zu stellen, sei eine völlig andere Herausforderung als in einer Großstadt Convenience-Produkte to-go anzubieten.

Auch Christian Maresch, Geschäftsführer und Gründer von Tante-M, hat mit seinen Stores den unterversorgten ländlichen Raum im Blick. Die Nahversorgung im ländlichen Raum sei dabei auszusterben, weil sie nicht mehr wirtschaftlich sei. Die wichtigsten Fragen seien also: "Was können wir uns leisten?", und "Was braucht der Kunde wirklich?". Ein Smart Store könne niemals mit einem großen Supermarkt konkurrieren, aber eine wichtige Nische bedienen: Die ständige Verfügbarkeit von Dingen des täglichen Bedarfs zu Supermarktpreisen sowie das Angebot von regionalen Händlern ohne eigenen Verkaufsplattform. Auch könne er sich vorstellen, künftig Bankautomaten und eine Kaffeebar zu integrieren – ganz nach den Wünschen der Kunden vor Ort. Maresch betreibt mittlerweile 44 Läden in Deutschland und ist damit Marktführer.

Automaten als Selbstläufer?

Wie Automatenshop, also Shops, die aus einer Vielzahl an verschiedenen Automaten bestehen, zum Geschäftsmodell werden, stellten Thomas Nickel von Sielaff und René Schönberger am Beispiel von Ape inn vor. Ape Inn ist ein elektronisch gesteuerter Kiosk, der täglich 24 Stunden geöffnet hat. Hier gibt es von Bier bis E-Shisha alles, was nachts sonst nur schwer zu kriegen ist. Die Zahlung erfolgt mit Smartphone, Bargeld oder Karte, ohne Registrierung. In nicht allzu ferner Zukunft soll in den Filialen auch mit digitalen Währungen gezahlt werden können.

Ein kompletter Selbstläufer sei das System allerdings nicht, die Automaten bräuchten regelmäßige Wartungen und auch die Investitionssumme für einen Automaten-Store schlage mit etwa 200.000 Euro zu Beginn stark zu Buche. Aber Schönberger führte aus, dass Ape Inn bereits profitabel sei.

Automaten sollten mehr können als Cola und Redbull anzubieten, davon ist Stefan Stüwer, Geschäftsführer von Stüwer und Erfinder des Regiomats überzeugt. Anfangs habe niemand geglaubt, dass sich Kartoffeln, Grillfleisch und Eier über Automaten verkaufen lassen, doch der Erfolg gibt ihm recht: Inzwischen sind mehr als 5.800 Regiomaten deutschlandweit im Einsatz. Gerade versucht sich das Unternehmen in Automaten für Bäckereien, die damit nach Ladenschluss übrig Gebliebenes verkaufen können.

Mehmet Tözge, Leiter Smart-Store-Entwicklung bei Lekkerland, und Ana Pinto, CEO von Reckon.ai, glauben nicht an das eine Automatenkonzept, welches in Zukunft den Markt dominieren wird. Es bräuchte viele verschiedene Konzepte, um den jeweiligen Kundenbedürfnissen gerecht zu werden. Dabei sei es sinnvoll, bereits bestehende Infrastruktur zu nutzen und aufzurüsten.

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