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Aggressives Verhalten: Die Corona-Maske als Feindbild

11.03.2022 14:49 Uhr
Coronamaske
Die Corona-Maske gilt für Maskengegner als Symbolbild für die Verschwörung. Diese Ideologie kann zu aggressivem Verhalten führen.
© Foto: Spitzi-Foto/Stock.adobe.com

Immer wieder kommt es zu verbalen oder körperlichen Angriffen durch Maskengegner. Warum Kunden aggressiv werden können und wie man sich in diesem Fall richtig verhält, lesen Sie hier.

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Zwei Jahre hat die Pandemie uns mittlerweile im Griff. In dieser Zeit hat sich die Corona-Schutzmaske für einige Menschen zu einer Art Feindbild entwickelt. Immer wieder liest oder hört man von verbalen oder körperlichen Übergriffen auf Berufsgruppen, die viel in Kontakt mit anderen Menschen stehen. In Umfragen berichten Journalisten, Polizisten, Ärzte, Kontrolleure und Verkaufspersonal, dass es vermehrt zu Auseinandersetzungen kommt.

Laut BKA (Bundeskriminalamt) stiegen die Zahlen der politisch motivierten Straftaten im Zusammenhang mit Corona im vergangenen Jahr um sechs Prozent auf 47.303 Delikte. Auch Tankstellenmitarbeiter haben seit der Pandemie vermehrt mit Kunden, die sich aufgrund der Maskenpflicht aggressiv verhalten, zu tun.

Im September 2021 kam es zum ersten tödlichen Übergriff durch einen Maskenverweigerer an einer Tankstelle in Idar Oberstein. Der Mann erschoss den 20-jährigen Kassierer mit einer Pistole. Die Menschen, die die Corona-Regeln umsetzen müssen, werden häufig sich selbst überlassen. Um die Mitarbeiter auf gefährliche Situationen vorzubereiten, sollten daher regelmäßig Ablaufpläne für den Notfall durchgesprochen werden. Dadurch, dass man sich mit der potentiellen Gefahr auseinandersetzt, weiß jeder, was im Ernstfall zu tun ist. Den Mitarbeitern wird die Angst vor der Situation genommen und Übergriffe durch aggressive Kunden könnten durch deeskalierendes Verhalten verhindert werden.

Wenn das Glas überläuft

Es kann viele Gründe dafür geben, warum eine Person aggressiv wird. Zum Beispielkönnen Alkohol- oder Drogenkonsum bis hin zum eskalierenden Streit aggressives Verhalten begünstigen. Aggressives Verhalten kann auch durch die Ideologie, die jemand vertritt, ausgelöst werden. Im Zusammenhang mit der Pandemie wurde die Schutzmaske von Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern zum Feindbild gemacht. Pia Lamberty, Sozialpsychologin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas) erklärt: „Wenn die Person denkt, sie wird unterdrückt und der Faschismus würde eingeführt, kann die Maske dafür als Symbolbild gelten. Wenn die Person also den angeblichen Vertreter des Faschismus attackiert, ist das der erste Schritt zur Rechtfertigung von Gewalt.“ Trigger wie Instabilität, Streit und Frustration können Auslöser oder Verstärker für aggressives Verhalten sein. „Man kann sich ein Glas mit Wasser vorstellen, das schon fast voll ist. Da kommt immer mehr drauf bis es irgendwann überläuft.“ Zum Aggressionspotential und zur Gewaltaffinität im Kontext der Pandemie gibt es mittlerweile einige Studien, zum Beispiel von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Diese zeigen, dass ein Viertel derer, die eine stärkere Affinität zu Verschwörungstheorien haben, auch Gewalt nutzen würden, um ihre Ziele durchzusetzen. „Diese Menschen denken ja auch, sie sind gerade im Recht und sie tun das Richtige, indem sie gegen die Verschwörung und deren Helfer vorgehen“, gibt Lamberty zu bedenken.

Alexander Stötefalke, Leiter der Notfall- und Katastrophenpsychologie bei der Johanniter Akademie in Hannover, hat eine Erklärung für die höhere Aggressivitätsbereitschaft während der Pandemie. „Im Kontext Maske ist das Schlagwort Reaktanz. Das bedeutet, dass Menschen die Beschränkung ihrer subjektiven Freiheit als nicht legitim wahrnehmen und versuchen diese wiederherzustellen.“ In der Forschung wird davon ausgegangen, dass Reaktanz eine Persönlichkeitseigenschaft ist. Dieser Prozess ist also grundsätzlich bei jedem Menschen vorhanden, nur unterschiedlich stark ausgeprägt. „Wenn der Kassierer also sagt: „Setzen Sie bitte die Maske auf “ und der Kunde das als nicht angemessen oder bevormundend erlebt, löst das Reaktanz aus. Ganz einfach gesagt, Menschen fühlen sich geschubst und fangen irgendwann an zurückzuschubsen“, erklärt der Psychologe.

Richtig reagieren

Was tut man nun als Mitarbeiter an der Tankstelle, wenn jemand seine Maske nicht aufsetzen möchte? Ruhig und höflich bleiben, ist die Antwort des Psychologen. Doch das ist oft einfacher gesagt als getan: „Der Tankstellenalltag ist meist stressig, alles muss schnell gehen. Und der Mensch
hinter der Kasse ist bestimmt nicht gerade ruhig und entspannt, wenn da am Tag schon der fünfte Mensch reinkommt, der seine Maske nicht aufsetzen will.“ Trotzdem ist es in dieser Situation besonders wichtig, „professionell zu reagieren und auch ein Stück weit solidarisch zu sein“, rät der Psychologe. „Die Person fühlt sich beeinträchtigt. Das kann ich ja akzeptieren, auch wenn ich die Ansichten politisch nicht teile. Ich kann sie trotzdem höflich darauf hinweisen, dass sie die Maske aufsetzen oder den Laden verlassen möge.“ Mit den Maskengegnern sollte man auf keinen Fall eine Grundsatz-Diskussion anfangen. „Das geht nicht mal eben zwischen Kaffeekochen und Dieselabrechnung und das ist auch nicht das, was man als Verkäufer leisten muss“, betont Stötefalke.

Nicht den Helden spielen

Wenn jemand laut wird und sogar per Gestik Schläge androht, kann die Situation gefährlich werden. Hier gilt es, sich auf die eigene Intuition zu verlassen und seine Grenzen zu kennen. „Wenn alles Reden nichts nützt, dann sollte man aus der Situation gehen“, sagt Stötefalke. Er erlebe es oft, dass die Leute den Zwang verspüren, in der Situation zu bleiben und das Hausrecht durchzusetzen. „Aber das muss man gar nicht. Wenn der Kunde nicht mit sich reden lässt und aggressiv reagiert, dann geh ich weg. Man muss sich auch klarmachen, hier geht es um etwas Relevantes, nämlich meine Gesundheit.“ Trotzdem sollte man weiterhin transparent und höflich agieren, erklärt Stötefalke. „Offen zu sagen, wie man sich gerade fühlt, kann deeskalierend wirken.“

Kriminaloberrat Harald Schmidt, Geschäftsführer der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes, fasst die Verhaltensregeln zusammen: „Treten Sie gegenüber aggressiven Menschen ruhig, sicher und selbstbewusst auf. Stellen Sie Blickkontakt her und halten Sie die Kommunikation aufrecht. Wählen Sie Ihre Worte bewusst und positiv. Können Sie einen Konflikt nicht beilegen, rufen Sie einen Kollegen, um Öffentlichkeit zu erzeugen. Wenn die Situation nicht lösbar ist, schlagen Sie Alarm oder wählen den Notruf 110.“ Nach dem Vorfall sollte gegen den Maskengegner ein Hausverbot erwirkt werden. Die Geschäftsleitung sollte informiert und der Zwischenfall im Team besprochen werden. Zudem kann bei der Polizei Anzeige erstattet werden. Lamberty weist darauf hin, dass es Opferberatungsstellen gibt, die auch im Kontext von Corona-Gewalttaten beraten. „Wenn man beleidigt, bedroht oder geschlagen wurde, kann man das da melden und mit denen durchgehen, was man tun kann. So ein Vorfall oder schon die Angst davor kann starke Auswirkungen auf die Psyche haben“, erklärt sie. „Angst frisst die eigenen Kapazitäten, das kann einen auch schon belasten, wenn man nur davon in den Medien hört und es gar nicht selber erlebt hat.“

Den Ernstfall trainieren

Die Experten empfehlen Führungskräften, das Team auf gefährliche Situationen frühzeitig vorzubereiten. Wenn es Notfall- und Ablaufpläne gibt, wissen alle, was in der Situation zu tun ist. Das gibt jedem Einzelnen im Team mehr Sicherheit. „So ist man der Situation nicht ausgeliefert. Ich muss mir nicht erst in der Sekunde, in der etwas passiert, überlegen, was gemacht werden soll“, erklärt Lamberty.

Auch Sicherheitstrainings, in denen die Konfliktsituation geübt wird, geben dem Team Sicherheit. Die Johanniter Akademie bietet beispielsweise seit vergangenem Jahr eine Ausbildung zum Deeskalationstrainer an. Stötefalke betont: „Den Umgang mit gefährlichen Situationen kann man trainieren, das ist kein angeborenes Talent.“ Daher empfiehlt er Menschen, die regelmäßig in Kundenkontakt stehen, ein qualitativ hochwertiges Training zu besuchen.

„Oft fehlt den Unternehmen aber das Geld für Sicherheitstrainings und die Politik tut in der Hinsicht auch nichts“, kritisiert Lamberty. „Ich habe den Eindruck, dass die Leute, die die Regeln umsetzen müssen, alleine gelassen werden. Da muss
sich etwas ändern.“ (sh)

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