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Mindestlohn: Das Kaninchen sitzt vor der Schlange

17.07.2023 11:48 Uhr | Lesezeit: 3 min
Mindestlohn: Das Kaninchen sitzt vor der Schlange
Der Mindestlohn soll auf 12,82 Euro steigen.
© Foto: N-Media-Images/Fotolia

Die Pflicht zur elektronischen Arbeitszeiterfassung ist vor allem eins: verwirrend. Rechtsanwalt Jörg Helmling zum aktuellen Stand.

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Das Bundesarbeitsgericht meinte im September 2022, es sei nötig, der Bundesregierung die Leviten zu lesen: Die bestehende EU-Arbeitszeitrichtlinie sei zwingend und müsse – unmittelbar – umgesetzt werden! Nur wusste man da noch nicht, wie das nun in einem Gesetz verwirklicht werden soll. Das weiß man nach einem dreiviertel Jahr danach immer noch nicht! Nur dass es kommen muss, das weiß man sicher.

Ein Blatt Papier genügt nicht

Seit Mitte Mai 2023 liegt immerhin ein Gesetzesentwurf dazu vor. Darin ist die schon längst bestehende Pflicht der Erfassung von täglichen Arbeitszeiten über acht Stunden - wie schon die ganze Zeit bisher - als Grundlage festgeschrieben. Noch nichts Neues! Die Erfassungspflicht entsteht nach dem Gesetzesentwurf am Ende des Arbeitstages und muss elektronisch erfolgen. Demnach muss in ein elektronisches Erfassungssystem investiert werden. Nur schriftlich, zum Beispiel auf einem Blatt Papier, reicht nicht.

Der Arbeitgeber kann die Erfassung auch delegieren, bleibt aber für die Richtigkeit verantwortlich. Dann kannst Du es auch gleich selbst machen! Die Nachweise beziehungsweise Aufzeichnungen sind für die gesamte Dauer der Beschäftigung, maximal aber für zwei Jahre, aufzubewahren. Tarifvertraglich kann per Betriebsvereinbarung auch ausnahmsweise eine Aufzeichnung per Papier erfolgen. Das geht aber dann nur bei Betrieben, die auch einem Tarifvertrag unterliegen. Bei Tankstellen meist keine Option. Und dann soll das Gesetz, soweit es dann irgendwann verabschiedet wird, zwar gleich in Kraft treten, aber es gibt Übergangsfristen. Alle Arbeitgeber haben nach dem vorliegenden Gesetzesentwurf voraussichtlich ein Jahr Zeit für die Umsetzung.

Es kommt aber noch besser: Unternehmen mit unter 250 Arbeitnehmer dürfen noch ein Jahr mit der elektronischen Erfassung warten, Unternehmen unter 50 Arbeitnehmern sogar noch vier Jahre. Kleinbetriebe bis zu zehn Arbeitnehmern dürfen wohl sogar dauerhaft keine elektronische Erfassung vornehmen. Aber auch das ist keine wirkliche Entlastung für die Kleinbetriebe, weil sie dann eben per Papier erfassen müssen. Diese Pflicht bleibt! Die Option, Kleinbetriebe generell von der Zeiterfassungspflicht auszunehmen, sieht der Gesetzesentwurf nicht vor.

Aktueller Stand ist, dass nun zu diesem Entwurf von allen betroffenen Seiten (Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften usw.) Stellungnahmen eingeholt werden. Dann wird erneut beraten. Einige Stellen gehen davon aus, dass das Gesetz bis zum Ende des Jahres 2023 in Kraft treten könnte.


"Aus juristischer Sicht ist ein Gesetz, das nur mit vielen Ausnahmen ratifizierungsfähig ist, ein Murks."

Jörg Helmling, Rechtsanwalt


Eine Bemerkung zum Schluss: Aus juristischer Sicht ist ein Gesetz, das nur mit vielen Ausnahmen ratifizierungsfähig ist, ein Murks. Grundsätzlich sollte es so gestaltet sein, dass es auch für alle (egal wie groß oder klein) gilt und umsetzbar ist. Alles andere ist aber keine notwendige Gesetzgebung, sondern schlicht Politik.

Das Arbeitsverhältnis ist Bestandteil des Sozialsystems. Grundsätzliche Vorkehrungen gegen Missbrauch sind da per Gesetz notwendig, aber der Staat muss sich nicht in jeden Winkel des Umgangs zwischen den Arbeitsvertragsparteien einmischen. Nicht umsonst gibt es zum Beispiel die Tarifautonomie, die schon gerade im anonymisierten Industriebereich gute Dienste tut, ohne dass man da die ständige Überwachung durch den Staat braucht.

Und ich weiß auch aus meiner arbeitsrechtlichen Praxis, dass ein Arbeitnehmer, der für sich aufgezeichnet hatte, dass er mehr als nötig gearbeitet hatte, ohne bezahlt zu werden, beim Arbeitsgericht immer unterstützt wird. Wo liegt also das Problem, das hier mit zusätzlichem Aufwand durch den Arbeitgeber gelöst werden soll?

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