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Personalauswahl: Fakten statt Gefühl

10.04.2020 12:00 Uhr
Personalauswahl: Fakten statt Gefühl
Den richtigen Mitarbeiter zu finden, ist gar nicht so einfach.
© Foto: Rudie/Fotolia

Im Interview verrät der Wirtschaftspsychologe Prof. Uwe Kanning, wie man den richtigen Mitarbeiter findet – und warum das Bauchgefühl ein schlechter Ratgeber ist.

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Sprit+: Prof. Kanning, Ihr Vortragstitel bei der Uniti-Wintertagung lautete „Wie Sie garantiert die falschen Mitarbeiter ­finden“. Wie definieren Sie einen „falschen“ Mitarbeiter?
Ein falscher Mitarbeiter ist im schlimmsten Fall jemand, der nach kurzer Zeit wieder geht, weil er von alleine merkt, dass er mit den Aufgaben über- oder unterfordert ist. Oder es könnte jemand sein, den man schon in der Probezeit entlässt oder kurz darauf. Falsche Mitarbeiter wären aber auch solche, die ich eingestellt habe und die ihren Job vielleicht ganz gut machen. Aber es hätte im Bewerberpool Leute gegeben, die deutlich ­besser geeignet wären, die ich jedoch nicht erkannt habe.

Fangen wir beim Bewerbungsprozess ganz von vorne an: Ein Personalverantwortlicher hat einen Stapel Bewerbungen auf dem Schreibtisch liegen. Nach welchen Kriterien sollte er Bewerber für ein Gespräch auswählen?
Grundsätzlich sollte man – insbesondere bei einfachen Tätigkeiten – liberal an die Sache herangehen. Also nicht zu hart ausfiltern, sondern lieber einen Bewerber zu viel als einen zu wenig einladen, einfach weil die Bewerbungsunterlagen alles in allem ein sehr stumpfes Schwert der Eignungsdiagnostik sind. Die Forschung zeigt, dass das meiste, was heute in Deutschland klassischerweise bei den Bewerbungsunterlagen interpretiert wird, nicht valide oder nur sehr geringfügig aussagekräftig ist. Deshalb sollte man auch nicht das Anschreiben, Tippfehler, Lücken im Lebenslauf oder Freizeitaktivitäten interpretieren. Im Grunde sollte man sich daran orientieren, was die Bewerbungsunterlagen am ehesten leisten können.

Und das wäre?
Bewerbungsunterlagen informieren uns über fachliche und ein Stück weit über intellektuelle Fähigkeiten. Außerdem informieren sie uns über die Berufserfahrung. Dabei ist es übrigens sinnvoll, nicht die Berufserfahrung in Jahren zu betrachten. Jemand, der seinen Job 15 Jahre macht, ist nicht automatisch besser als jemand, der ihn fünf Jahre macht. Man sollte sich besser anschauen, was der Mensch in ­dieser Zeit gemacht hat. Es sind also die Inhalte und die Vielfalt der Tätigkeiten wichtig. Sie verraten uns am ehesten, ob jemand die Chance hatte, Neues zu lernen, oder ob jemand jeden Tag nur dasselbe gemacht hat.

Das ist bei Berufsanfängern nicht möglich. Zu welcher Vorgehens­weise raten Sie hier?
Bei Berufseinsteigern sollte man die Durchschnittsschulnote berücksichtigen. Sie ist aussagekräftiger als einzelne Schulnoten. Bei Hochschulabsolventen ist es durchaus sinnvoll, die Examensnote heranzuziehen. Das machen viele Unternehmen nicht, weil sie nicht an Noten glauben. Noten sind zwar nicht besonders gut, aber sie sind immer noch besser als ihr Ruf.

Wie findet man denn anhand der ­Bewerbungsunterlagen raus, ob ­jemand über die gern genannten Softskills verfügt?
Man kann Softskills nicht aus den Bewerbungsunterlagen rauslesen. Das ist aber das, was der Durchschnittspersonaler macht. Er liest das Anschreiben und deutet dann die Persönlichkeit des Bewerbers. Dabei übersieht er, dass zwei Drittel der Anschreiben heute gar nicht mehr komplett selbst verfasst werden, sondern angepasste Vorlagen sind. Viele glauben auch, dass beispielsweise jemand, der Handball spielt, automatisch teamfähiger ist als ­jemand, der Briefmarken sammelt. Die Forschung bestätigt das jedoch nicht. Mir muss bewusst sein, dass die Bewerbungsmappe einfach nicht geeignet ist, Softskills zu messen, obwohl sie natürlich wichtig sind. Das muss ich im Interview oder im Assessment Center machen.

Welche Tipps geben Sie für das Vorstellungs­gespräch?
Ich rate von Allerweltsfragen ab, wie zum Beispiel: Was sind Ihre Stärken und Schwächen? Warum haben Sie sich beworben? Das sagt im Endeffekt nichts über den Bewerber aus. Ich muss stattdessen situative Fragen stellen und den Bewerber mit Situationen aus dem Berufsalltag kon­frontieren. Zum Beispiel: Wie würden Sie reagieren, wenn Ihnen ein aufgebrachter Kunde gegenübersteht? Oder ich teste in einem Rollenspiel, wie sich der Bewerber verhält. Zusammengefasst sieht ein schlechtes Bewerbungsgespräch so aus: Der Personaler stellt Allerweltsfragen, denkt sich während des Interviews noch Fragen aus, hat aber am Ende keine Kriterien zur Bewertung der Antworten und entscheidet letztendlich nach dem Bauchgefühl. Aus der Forschung weiß man, dass solche unstrukturierten Interviews wesentlich schlechter für die Prognose beruflicher Leistung als hochstrukturierte sind.

Wie sieht ein hochstrukturiertes Interview aus?
Wichtig ist, dass man sich im Vorfeld einen Interview-Leitfaden erstellt. Das heißt, vor dem ersten Interview hat sich der Personaler genau überlegt, welche Fragen er stellt. Ich möchte beispielsweise Kundenorientierung, Zuverlässigkeit und Fachlichkeit messen? Dann überlegt man sich zu jeder dieser drei Dimensionen vier Fragen und wie eine gute, eine hinreichend gute und eine schlechte Antwort aussehen könnte. Danach vergebe ich Punkte. So habe ich ein sehr standardisiertes Ver­fahren, bei dem ich alle Bewerber gleich behandele. Durch die Punktevergabe kann ich außerdem die Bewerber objektiv miteinander vergleichen und den geeignetsten auswählen. Wenn ich am Ende zwei Kandidaten habe, die gleich gut sind, dann spricht nichts dagegen, den zu nehmen, bei dem ich das bessere Gefühl habe. Aber nur weil mir jemand sympathisch ist, ist er nicht fachkompetenter oder kommt besser mit Kollegen und Kunden klar. Das Bauchgefühl ist vielleicht das zentrale Problem in der Personalauswahl.

Inwiefern?
Die Menschen, die ein paar Jahre in dem Bereich zu tun hatten, halten sich oft selbst für Menschenkenner. Sie gehen also davon aus, dass sie keine Methodik brauchen, sondern aus einem plaudernden Gespräch heraus erkennen, ob jemand geeignet ist. Dabei kommt es zu Urteilsfehlern, weil viele beispielsweise denken, dass Menschen, die groß und kräftig sind, automatisch mehr Führungskompetenz besitzen als Menschen, die klein und zart sind. Das ist natürlich Blödsinn, weil man als Führungskraft heute nicht stark sein, sondern über bestimmte Softskills verfügen muss. Wir wissen auch, dass übergewichtige Personen als weniger leistungsstark wahrgenommen werden oder dass man gutaussehende Menschen oft überschätzt. Das sind alles Urteilsfehler, die passieren, ohne dass Entscheidungsträger dies wahrnehmen. Das ist das Gefährliche dabei. Sie machen es nicht absichtlich, sondern sie glauben, dass sie seriös entscheiden.

Wie sollte man denn Lücken im Lebenslauf be­ur­teilen?
Wir haben uns in zwei großen Studien angeschaut, welche Bedeutung eine Lücke im Lebenslauf hat. Dabei haben wir herausgefunden, dass sie nichts über die Persönlichkeit oder die Leistung eines Bewerbers aussagen. Lücken darf man – wenn überhaupt – nur unter zwei Bedingungen interpretieren: Wenn die Pause wirklich lang war, also mehr als ein, eineinhalb Jahre. Aber man sollte nicht anfangen, ein halbes oder ein Vierteljahr zu bewerten. Da bin ich wirklich beim Kaffeesatzlesen, weil das einfach in Berufsbiografien passiert, ohne dass der Bewerber etwas dafür kann. Das zweite ist, dass man den Grund für die Lücke kennen sollte. Wenn jemand zum Beispiel krank geworden ist, dann sagt das ja nichts über seine Persönlichkeit aus.

Was halten Sie denn von Fragen wie: Wie viele Smarties passen in einen Smart?
Das machen offenbar viele, aber letztendlich sind solche Fragen absurd. Ich vermute, dass die Personaler damit intellektuelle Fähigkeiten messen wollen. Da gibt’s aber seit 100 Jahren Instrumente, die man besser einsetzen kann, nämlich Intelligenztests. Vielleicht will man damit auch Bewerber verunsichern. Solche Fragen haben aber nichts mit dem Berufsalltag zu tun und sind deshalb irrelevant. Ein Auswahlverfahren sollte möglichst nah an der ­Berufsrealität sein. Je spezifischer es ist, desto besser.

(Interview: Annika Beyer; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 4.2020.)

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