PayPal, Visa, Mastercard und Co.: Zahlungsdienste als geopolitische Waffe

22.10.2025 11:03 Uhr | Lesezeit: 4 min
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Der europäische Markt für Kartenzahlungen wird von zwei US-Schemes dominiert: Visa und Mastercard.
© Foto: Visa, Mastercard (bearbeitet)

Die Verfügbarkeit eines Zahlungsdienstes ist weit mehr als eine technische Frage – sie ist hochpolitisch.

Der Schreck fuhr vielen Händlern und Kunden im August 2025 tief in die Glieder: PayPal, der unangefochtene Riese im Online-Zahlungsverkehr, hatte mit massiven Ausfällen zu kämpfen. Ein ausgefallenes Sicherheitssystem führte dazu, dass deutsche Banken vorsorglich Lastschriften in Milliardenhöhe blockierten. Für viele, auch im Tankstellengeschäft, war dies ein Weckruf. Man erinnert sich unweigerlich an den bundesweiten Ausfall der Verifone H5000-Terminals im Jahr 2022, der zeigte, wie schnell die Lebensader des modernen Handels, der digitale Zahlungsverkehr, durchtrennt werden kann.

Die Spitze des Eisbergs

Solche technischen Pannen sind ärgerlich, kostspielig und untergraben das Vertrauen Der Konsumenten und Händler. Doch so schlimm sie sind, sie sind oft nur die Spitze des Eisbergs. Das eigentliche, tiefgreifendere Risiko für den europäischen Zahlungsverkehr und damit für jeden einzelnen Händler liegt nicht in Softwarebugs oder Serverausfällen. Es liegt in politischen und strategischen Entscheidungen, die weit entfernt von europäischen Kontrollinstanzen getroffen werden. In den Vorstandsetagen großer US-Dienste und den Fluren der US-Administration. Denn insbesondere Bezahldienste aus den USA nutzen ihre Stellung aus, um Druck auf Händler auszuüben.

Das Beispiel der Ereignisse rund um die Gaming-Plattform Steam und PayPal macht die verborgene Gefahr sichtbar. Es zeigt: Die Verfügbarkeit eines Zahlungsdienstes ist weit mehr als eine technische Frage – sie ist hochpolitisch. Für Tankstellenbetreiber, deren Existenz an einem stabilen und reibungslosen Zahlungsfluss hängt, wird es höchste Zeit, dieses vermeintliche "Feature" der globalisierten Finanzwelt zu verstehen.

Steam: Geldhahn plötzlich zugedreht

Was war passiert? Im Juli 2025 wurde PayPal für Millionen von Nutzern der weltweit größten Gaming-Plattform Steam quasi über Nacht als Zahlungsmethode gestrichen. Betroffen waren alle Länder, deren Währung nicht zu den sechs "Auserwählten" gehörte: Euro, US-Dollar, kanadischer Dollar, britisches Pfund, japanischer Yen und australischer Dollar. Ein norwegischer Gamer konnte plötzlich kein neues Spiel mehr mit seinem PayPal-Konto kaufen, ein mexikanischer ebenso wenig. Der Grund war keine technische Störung, kein Serverproblem bei Steam oder PayPal. Die Ursache lag tiefer.

Valve, der Betreiber von Steam, erklärte, dass eine der Partnerbanken von PayPal, ein sogenannter Acquirer, entschieden hatte, keine Steam-Transaktionen mehr in den betroffenen Währungen abzuwickeln. Der offizielle Grund blieb vage, doch der zeitliche Zusammenhang ist brisant. Kurz zuvor hatte Steam auf Druck von Zahlungsdienstleistern zahlreiche legale "Adult Games" von seiner Plattform entfernt.

Mastercard hatte zwar bestritten, direkt Druck ausgeübt zu haben, doch deren Partnerbanken sahen das offenbar anders. Das Muster wiederholte sich nun bei PayPal: Nicht der Dienstleister selbst, sondern eine im Hintergrund agierende US-Bank drehte den Geldhahn zu, weil ihr die auf der Plattform angebotenen Inhalte nicht passten.

Dieser Vorfall ist ein Lehrstück in Sachen moderner Wirtschaftsmacht. Er demonstriert, dass die Teilnahme am globalen digitalen Handel nicht nur von der eigenen Bonität oder der technischen Infrastruktur abhängt, sondern von der Konformität mit den Policies und moralischen Vorstellungen US-amerikanischer Finanzintermediäre. Eine Einschränkung wie bei Steam ist kein Bug, sondern ein Feature des Systems. Sie ist das Ergebnis von Geschäftsbedingungen, die von US-Banken und US-Bezahldiensten und deren Interessen geprägt sind und sich jederzeit ohne Vorwarnung und jenseits europäischer Kontrolle ändern können.

Zahlungsverkehr als geopolitisches Schachbrett

Der Fall Steam ist kein Einzelfall, sondern Symptom einer tiefgreifenden Abhängigkeit. Der europäische Markt für Kartenzahlungen wird von zwei US-Schemes dominiert: Visa und Mastercard kontrollieren die Infrastruktur, über die Milliarden von Transaktionen täglich abgewickelt werden. Hinzu kommen digitale Wallets wie Apple Pay, Google Pay und PayPal, die als zusätzliche Schicht auf diese Schemes aufsetzen und den direkten Kundenkontakt übernehmen. Während Länder wie Deutschland mit der Girocard (Marktanteil über 70 %) und Frankreich mit der Carte Bancaire (fast 80 %) noch über starke nationale Systeme verfügen, haben sich andere wie Irland (90 % US-Systeme) oder die Niederlande (87 %) fast vollständig in die Hände amerikanischer Anbieter begeben.

Diese Marktmacht ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Vorteil. Sie ist ein politisches Machtinstrument. Die US-Schemes agieren dabei keineswegs neutral: Sie setzen ihre Geschäftsbedingungen durch, indem sie Zahlungen für Branchen oder Inhalte blockieren, die ihren moralischen oder geschäftlichen Vorstellungen widersprechen. Der Fall Steam zeigt dies exemplarisch.

Aber man stelle sich vor, eine Tankstelle könnte plötzlich keine Kartenzahlungen mehr abwickeln, weil sie neben Benzin auch Erwachsenen-Magazine oder andere legale, aber den US-Schemes unliebsame Produkte verkauft. Was heute bei Gaming-Plattformen geschieht, kann morgen jeden Händler treffen. Ist das ein sehr wahrscheinliches Szenario? Sicher nicht, aber in Zeiten geopolitischer Spannungen zumindest denkbar.

Philip Lane, Chefökonom der Europäischen Zentralbank (EZB), warnte bereits im April 2025 unmissverständlich: "Diese Abhängigkeit setzt Europa dem Risiko wirtschaftlichen Drucks und Zwangs aus und hat Auswirkungen auf unsere strategische Autonomie". Denn diese Unternehmen unterliegen der US-Gesetzgebung und den geopolitischen Interessen der US-Regierung. Transaktionen, die über US-Server laufen, sind dem Zugriff amerikanischer Behörden ausgesetzt, ein datenschutzrechtlicher Albtraum für europäische Unternehmen und Kunden. In Zeiten zunehmender geopolitischer Spannungen, in denen die US-Administration europäische Digital-Regulierungen als "unfair" bezeichnet und mit Strafzöllen droht, wird diese Abhängigkeit zu einer strategischen Schwachstelle.

Wero und der digitale Euro: Europas strategische Antwort

Die Politik hat diese Gefahr nicht nur erkannt, sondern handelt bereits entschlossen. Die Antwort kommt in zwei Varianten: Wero und der digitale Euro. Gestartet im Juli 2024 von der European Payments Initiative (EPI), einem Zusammenschluss von 14 europäischen Banken und zwei Zahlungsdienstleistern, ist Wero mehr als nur eine weitere Zahlungs-App. Es ist ein strategischer Baustein für die "europäische Souveränität im Zahlungsverkehr". Das System kommt zur rechten Zeit: Während die geopolitischen Spannungen zunehmen und die Risiken der US-Abhängigkeit immer deutlicher werden, bietet Wero eine echte Alternative zu PayPal und Co., die auf europäischer Infrastruktur basiert und europäischem Recht unterliegt.

Wero ermöglicht bereits heute Echtzeit-Überweisungen per Handynummer und wird ab 2025 auch im Online-Handel und ab 2026 im stationären Einzelhandel, also auch an der Tankstelle, einsetzbar sein. Angeführt von den Sparkassen und Genossenschaftsbanken in Deutschland, folgen schrittweise weitere Banken und Länder in Europa. Parallel arbeitet die EZB am digitalen Euro, der als digitale Zentralbankwährung eine weitere Säule europäischer Zahlungsautonomie darstellen wird. Beide Projekte ergänzen sich strategisch: Wero als privatwirtschaftliche Initiative für den Alltag, der digitale Euro als staatlich garantierte Grundlage für kritische Infrastrukturen.

Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern eine bewusste Antwort auf die amerikanische Dominanz. Europa baut systematisch eine eigene Zahlungsinfrastruktur auf, die unabhängig von US-Interessen funktioniert und europäischen Werten und Gesetzen folgt.

Was bedeutet das für Tankstellenbetreiber?

Auf den ersten Blick mag die geopolitische Dimension des Zahlungsverkehrs weit entfernt vom täglichen Geschäft an der Zapfsäule erscheinen. Doch die Beispiele zeigen: Die Wahl des Zahlungssystems ist eine strategische Entscheidung. Ein technischer Ausfall ist ein Problem. Ein politisch motivierter "Abschalter" ist eine existenzielle Bedrohung.

Es geht nicht darum, US-Dienste zu verteufeln. Sie bieten oft exzellenten Service und sind bei Kunden beliebt. Es geht darum, sich der Abhängigkeiten bewusst zu sein und für Alternativen zu sorgen. Die Unterstützung europäischer Systeme wie Wero ist nicht nur ein Akt der Solidarität, sondern eine Investition in die eigene unternehmerische Resilienz. Denn am Ende des Tages muss eines sichergestellt sein: Dass Kunden bezahlen können. Immer. Unabhängig davon, welche politischen Winde gerade über den Atlantik wehen.

Technik ist wichtig. Aber über die Regeln und die Infrastruktur, die unser aller Geschäftsgrundlage bilden, müssen wir in Europa selbst entscheiden. Der Fehler im System ist nicht der gelegentliche Bug, sondern die strukturelle Abhängigkeit. Es ist an der Zeit, diesen Fehler zu beheben.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Tankstellenbetreiber können bereits heute Schritte unternehmen, um ihre Abhängigkeit von einzelnen Zahlungsdienstleistern zu reduzieren. Diversifizierung des Angebots ist das Gebot der Stunde: Neben den etablierten US-Systemen sollten europäische Alternativen wie Wero bei deren Verfügbarkeit schnell integriert werden. Regelmäßige Information über neue Entwicklungen im Zahlungsverkehr und der Aufbau von Redundanzen sind essenziell. Ein zweites oder drittes Standbein bei den Zahlungsmethoden kann im Ernstfall den Unterschied zwischen Umsatzausfall und normalem Geschäftsbetrieb bedeuten. Die Investition in diese Vielfalt ist eine Versicherung gegen die Unwägbarkeiten einer zunehmend politisierten Finanzwelt.

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