Unter Umgehung von Transitländern strömt in wenigen Tagen erstmals russisches Erdgas direkt nach Deutschland und Westeuropa. Nach anderthalb Jahren Bauzeit wird am Dienstag (8. November) der erste Strang der 1.224 Kilometer langen und 7,4 Milliarden Euro teuren Ostsee-Pipeline des russisch-europäischen Firmenkonsortiums Nord Stream in Betrieb genommen. Der russische Staatspräsident Dimitri Medwedew und Bundeskanzlerin Angela Merkel werden gemeinsam mit weiterer europäischer Politprominenz in einem symbolischen Akt den Gashahn der Ostsee-Pipeline aufdrehen. Erwartet werden in Lubmin der französische Premierminister François Fillon, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sowie EU-Energiekommissar Günther Oettinger. Auch der Vorsitzende des Nord-Stream-Aktionärsausschusses, Gerhard Schröder, der 2005 zusammen mit dem damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin das in Polen und im Baltikum umstrittene Projekt auf den Weg gebracht hatte, wird nach Lubmin kommen. Der Festakt wird unter hohen Sicherheitsauflagen einige Kilometer vom Seebad entfernt auf dem Industriehafengelände stattfinden. Theoretisch können 26 Millionen Haushalte versorgt werden Durch den ersten von zwei Leitungssträngen sollen von Dienstag an zunächst bis zu 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas im Jahr strömen. Das Gas wird über die ebenfalls neu verlegte Festlandtrasse "Opal" des deutschen Energiekonzerns Wingas nach Süden nahe der tschechischen Grenze geleitet und dort über einen Energieknotenpunkt verteilt. Mit der Inbetriebnahme des zweiten Leitungsstranges im Herbst 2012 beträgt die Gesamtkapazität 55 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr - damit könnten rechnerisch 26 Millionen Haushalte versorgt werden. Vom zweiten Leitungsstrang liegen mit rund 800 Kilometer bereits zwei Drittel auf dem Meeresboden der Ostsee. Gaslieferant ist der russische Energiekonzern Gazprom, der mit 51 Prozent auch Mehrheitseigner der Nord Stream AG ist. Das Gas stammt aus dem Feld Juschno-Russkoje auf der westsibirischen Halbinsel Jamal in Norden Russlands. Die Region gilt als eines der weltweit größten Lagerstätten mit geschätzten Gasreserven von mehr als einer Billion Kubikmeter. Gazprom hat bereits in mehreren EU-Staaten langfristige Verträge über Gaslieferungen abgeschlossen. Zu den Kunden gehören Energiekonzerne in Deutschland, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Frankreich und Großbritannien. Gazprom entzieht sich der internationalen Marktentwicklung Nach Auffassung der Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wird die Preispolitik von Gazprom langfristig über den Erfolg der Pipeline entscheiden. Im Gegensatz zu anderen Gaslieferanten kopple Gazprom den Gaspreis noch immer an den Ölpreis, sagte Kemfert. "Damit entzieht sich Gazprom der internationalen Marktentwicklung mit tendenziell niedrigeren Preisen." Es sei wünschenswert, dass der Druck des Marktes dazu führen werde, dass Gazprom seine Preise dem internationalen Niveau anpasst. Als Brückentechnologie werden Gaskraftwerke in den nächsten Jahren deutlich an Bedeutung gewinnen, zeigte sich Energieökonomin überzeugt. Allerdings fehlten finanzielle Anreize für den Bau von Gaskraftwerken. Der Gasimport aus Russland (derzeit rund 40 Prozent in Deutschland) werde vor dem Hintergrund der in Europa eingeläuteten Energiewende steigen. Die Internationale Energie Agentur (IEA) geht davon aus, dass die Erdgasimporte in der EU von rund 320 Milliarden Kubikmeter 2008 bis 2030 auf über 500 Milliarden Kubikmeter steigen werden. Am Anlandepunkt in Lubmin hofft man auf die Ansiedlung von zwei Gaskraftwerken. Der Energiekonzern EnBW, der ein Genehmigungsverfahren betreibt, hat eigenen Angaben zufolge noch keine Investitionsentscheidung getroffen. Voraussetzung sei ein wirtschaftlich darstellbarer Gasliefervertrag, den es bisher nicht gebe, wie eine Sprecherin sagte. Die Energiewerke Nord (EWN) in Lubmin hatten die Rumpfplanungen des gescheiterten Kohlekraftwerksprojekts Dong Energy übernommen. Auch hier stehen Genehmigung und Investitionsentscheidung aus. Mit der Pipeline werden in Lubmin zwölf Arbeitsplätze durch Nord Stream und Wingas entstehen, die die Leitungen und Anlandestation warten. (dpa/beg)
Medwedew und Merkel drehen auf: Russisches Erdgas fließt direkt nach Deutschland

Nach anderthalb Jahren Bauzeit soll am Dienstag zum ersten Mal russisches Erdgas unter Umgehung von Transitländern direkt nach Deutschland strömen: Am Dienstag wird die 1.224 Kilometer lange Ostsee-Pipeline in Betrieb genommen.