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Hohe Spritpreise: Tankstellensterben an der polnischen Grenze

14.04.2022 08:13 Uhr
Hohe Spritpreise: Tankstellensterben an der polnischen Grenze
Mittlerweile lohnt es sich sogar für gewerbliche Kunden, in Polen zu tanken.
© Foto: Stefan Sauer/ZB/picture-alliance

Polen hat die Mehrwertsteuer von 23 auf acht Prozent gesenkt. Die Preisabstände beim Kraftstoff sind im Vergleich zu Deutschland enorm, der Tanktourismus floriert. Rund 400 deutschen Tankstellen droht das Aus.

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Volker Bias hat schon viele geschäftliche Höhen und Tiefen erlebt. Doch was sich seit Anfang Februar an seinen Zapfsäulen abspielt, ist auch für den 56-jährigen Tankstellenpächter aus Frankfurt/Oder ein Novum. Zum 1. Februar dieses Jahres hat Polen seine Mehrwertsteuer von 23 auf acht Prozent gesenkt. Seitdem fahren die Kunden von Bias eineinhalb Kilometer über die polnische Grenze und tanken für 60 bis 70 Cent pro Liter weniger als bei ihm. Die drastische Mehrwertsteuersenkung der polnischen Regierung ist der Höhepunkt einer Entwicklung, die dem brandenburgischen Tankstellenpächter den existenziellen Boden unter den Füßen wegziehen könnte. „Angefangen hat das ganze Problem im Oktober vorigen Jahres. Da wurde die CO2 -Steuer in Deutschland erhöht, im Januar 2022 noch einmal und in der letzten Dezemberwoche 2021 haben die Polen die Mineralölsteuer auf fast null Prozent gesenkt“, fasst Bias die Abwärtsspirale zusammen.

Hunderte Betriebe gefährdet

Die enormen Preisabstände beim Kraftstoff könnten das wirtschaftliche Aus für Tankstellenpächter in den deutschen Grenzregionen zu Polen bedeuten. Der Zentralverband des Tankstellengewerbes (ZTG) schätzt, dass von den 900 Tankstellen in Mecklenburg Vorpommern, im nördlichen Sachsen und Brandenburg 300 bis 400 Betriebe in ihrer Existenz akut gefährdet sind. ZTG-Geschäftsführer Jürgen Ziegner berichtet von leeren Tankstellen und verzweifelten Mitgliedern: „Schon im Januar 2022 hatten die Pächter 50 Prozent Umsatzeinbußen wegen der Mineralölsteuersenkung in Polen. Seit Februar nun dürfte der Umsatzeinbruch noch höher liegen.“ Die deutliche Mehrwertsteuersenkung mache den Tanktourismus auch für gewerbliche Kunden attraktiv. „Ich musste schon immer mit rund 30 Cent pro Liter Preisabstand zu Polen klarkommen“, berichtet Bias. Ich konnte aber mit den gewerblichen Kunden rechnen. Für die lohnte es sich nicht, die polnische Mehrwertsteuer von den damals 23 Prozent aus dem Kraftstoffpreis herauszurechnen.“ Seit Februar ist die Steuer nur noch ein Drittel – und Bias sieht die Brummis an seinen vier Zapfsäulen vorbeifahren.

Null Prozent Mehrwertsteuer auf Lebensmittel in Polen

Wer in den deutschen Grenzregionen wohnt, tankt in Polen, das ist seit Anfang Februar für Tankstellenpächter bittere Realität. Und nicht nur für jene unmittelbar an der Grenze. Der erhebliche Preisunterschied von 60 bis 70 Cent pro Liter Kraftstoff lässt die Zapfsäulen im Umkreis von 40 Kilometern trocken. „Polen hat die Mehrwertsteuer auf Kraftstoff gesenkt und die auf Lebensmittel auf null, da wird der Wocheneinkauf im polnischen Supermarkt gleich mit erledigt“, weiß Ziegner. Der ZTG zählt Tankstellen zur kritischen Infrastruktur. Das Sterben von Tankstellen im Grenzgebiet könnte „dazu führen, dass auch Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienste in Polen tanken müssen“. Der ZTG fordert in einem Schreiben an die Wirtschaftsminister des Bundes und der betroffenen Bundesländer „Unterstützung bei der Einrichtung eines Strukturhilfefonds, aus dem die betroffenen Betriebe einen Ausgleich ihrer Verluste für die Zeit erhalten, in der Polen durch seine zeitlich befristeten Steuersenkungsmaßnahmen die wirtschaftliche Grundlage der deutschen Tankstellenbetreiber vernichtet". Ziegner schlägt vor, ähnlich den Corona-Hilfen von Bund und Ländern, Tankstellenpächtern ihre Gewinneinbußen aufgrund polnischen Preisdumpings zu ersetzen. Das erfordere wenig bürokratischen
Aufwand, denn "Pächter nutzen überwiegend für die Abrechnung das EurodataSystem. Diese Software kann umgehend die Ertragslage mit dem Vorjahreszeitraum abgleichen."

Rabattmarken statt Fonds

Andreas Franke, Tankstellenpächter aus Zittau in Brandenburg, sieht die Forderung nach staatlichen Hilfen eher skeptisch. Er ist seit 1993 im Tankstellengeschäft tätig und hat Erfahrung mit der Grenzproblematik. Statt einem einmaligen Strukturhilfefonds fordert er eine „regional gestaltete Rabattpolitik“. Seiner Meinung nach sollte die Mehrwertsteuer „nach regionalen Gegebenheiten gestaltet und mit Rabatten unterstützt“ werden. Sollten die Preisschwankungen zu hoch werden, können die Einwohner von Grenzgebieten an der Kasse die Rabattmarken einlösen.“ Die „Franke Tank“ von Franke macht seit Februar drei Viertel weniger Umsatz. Die wenigen Einnahmen verdankt Franke seinen beiden Waschanlagen. Obwohl die Zittauer nur wenige hundert Meter in Polen ihr Auto für die Hälfte des Preises waschen können, ziehen sie die heimische Waschanlage vor. Der Bequemlichkeit halber, wie Franke vermutet.

Wehmütiger Blick zurück

Fast wehmütig blickt der Pächter auf die letzten beiden Jahre zurück, zu den Hochzeiten von Corona. Wegen des Grenzschließungen zu Polen standen die Kunden Schlange an seinen Zapfsäulen. Franke Tank machte doppelte Umsätze mit Sprit und damit auch im Shop, denn "wer im Schnitt 27 Liter tankt, nimmt etwas für fünf Euro aus dem Shop mit", so die Erfahrung von Franke.

Auch Bias machte in den letzten beiden Jahren pandemiebedingt gute Umsätze, allein mit Zigaretten dreimal so viel wie davor. Neben Frankfurt/Oder betreibt er noch eine Tankstelle in Eisenhüttenstadt, ebenfalls direkt an der polnischen Grenze. Die Ausfälle durch den Tanktourismus nach Polen kann er teilweise durch seine Stehimbisse in den Tankstellen abmildern. Statt zum Tanken kommen die Kunden und holen sich belegte Brote zum Frühstück ab. Mittags gibt es dann Bockwurst, Bulette oder Schnitzel aus der tankstelleneigenen Küche. Bias hofft, durchzuhalten und seine vier Festangestellten zu behalten. Spätestens bis Juli. Dann soll in Polen die Mehrwertsteuer wieder erhöht werden. (ka)

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KOMMENTARE


Karl Helmut Seiler

14.04.2022 - 18:27 Uhr

Was kümmert das Tankstellensterben im Grenzgebiet die Politik? Seit Jahren nicht!In der Eifel und im saarländischen Grenzgebiet zu Luxemburg waren vor Jahren die deutschen Feuerwehren und die Gemeindefahrzeuge gezwungen, im Nachbarland zu tanken. An der Grenze zur Tschechischen Republik (so heißt offiziell mein Nachbarland, nicht "Tschechien") können wegen dem geringeren Preisunterschied die Tankstellen nur mit Geschäftskunden überleben, die eine Rechnung mit ausgewiesener deutscher Mehrwertsteuer brauchen!Schließlich ist der Kraftstoff auf deutscher Seite in Grenznähe immer einige Cent/Liter teurer als weiter im Westen: Der Sprit kommt auf beiden Seiten der Grenze aus Ingolstadt und mit dem (weniger besteuerten) Verkauf in der TschechRep verdienen die Mineralölkonzerne mehr, als in Deutschland. Deswegen gibt es keinen Grund, für nach Osten Ausreisende besonders günstig zu sein. Besser, sie tanken "drüben".


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