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Urteil zu iCash: Zahlungsgerätrückzahlung

20.06.2016 12:37 Uhr
Urteil zu iCash: Zahlungsgerätrückzahlung
Die aus dem Zahlungsgerät iCash entstehenden Kosten muss Shell seinen Pächtern zurückzahlen.
© Foto: Shell

Das Landgericht Hamburg hat im Januar 2016 entschieden: Shell muss den Pächtern die Kosten vollständig erstatten, die durch das Integrated-Cash-Management-System iCash anfallen.//Das Urteil in Auszügen + Kommentar

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Tankstellenverwalter von Shell können nicht nur die Rückzahlung der Mietzinsen, die sie für das Stationscomputersystem entrichtet haben, verlangen. Das gilt auch für die Erstattung der Kosten, die durch das „Integrated Cash Management“ (ICM) anfallen. Bisher mussten Shell-Pächter für die ­Nutzung der sogenannten Cash Management Unit, also des ­Geldausgabeautomaten, Leasinggebühren bei Wincor Nixdorf zahlen. Nach Ansicht des Landgerichts Hamburg im Urteil vom 21. Januar 2016 verletzt Shell mit der Heranziehung des Handelsvertreters zu den genannten Kosten aber das zwingende gesetzliche Gebot aus § 86a Abs. 1 des Handelsgesetzbuches (HGB).

Demnach ist der Unternehmer verpflichtet, dem Handels­vertreter die zur Ausübung seiner Tätigkeit erforderlichen Unterlagen wie Muster, Zeichnungen, Preislisten, Werbedrucksachen und Geschäftsbedingungen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Hiervon abweichende Vereinbarungen sind gemäß § 86a Abs. 3 HGB unwirksam. Wörtlich führt das Gericht aus:

„Aus dem Leitbild des Handelsvertreters als selbstständiger Vermittler von Geschäften folgt, dass er sich einerseits nicht an den Kosten des Unternehmers beteiligen muss, andererseits jedoch das alleinige Risiko der von ihm entfalteten Absatzbemühungen trägt. Durch eine Beteiligung an Kosten des Unternehmers für Unterlagen i.S. des § 86 a Abs. 1 HGB wäre der Handelsvertreter in­des verpflichtet, auch im Falle erfolgloser Absatzbemühungen für die überlassenen Unterlagen ein Entgelt an den Unternehmer zu zahlen und so letztlich einen Teil des unternehmerischen Risikos des Prinzipals zu tragen. Dies wäre mit der Risikoverteilung im Handelsvertreterverhältnis unvereinbar. (…)

Von dem Begriff der Unterlagen wird alles erfasst, was dem Handelsvertreter zur Ausübung seiner Vermittlungs- oder ­Ab­schlusstätigkeit – insbesondere zur An­preisung der Waren bei dem Kunden – dient und aus der Sphäre des Unternehmers stammt.  (…)

Zugleich ist das Tatbestandsmerkmal der „Erforderlichkeit“ restriktiv auszulegen und zu verlangen, dass die Unterlagen für die spezifische Anpreisung der Ware unerlässlich sein müssen. Der Handelsvertreter muss auf die Unterlagen zur Vermittlung oder zum Abschluss der Verträge angewiesen sein. Erforderlich ist ein sehr enger Bezug zum vertriebenen Produkt. Ohne die Unterlagen darf eine erfolgreiche Vermittlung schlecht­hin nicht möglich sein, wie dies bei Preis­listen und Geschäftsbedingungen der Fall ist, ohne die der Handelsvertreter zur Einhaltung der vom Unternehmer vorge­gebenen Konditionen nicht in der Lage ist.

Nach diesem Maßstab sind die vorgenannten Vertragskom­ponenten in Gestalt des Stationscomputersystems und des iCash als erforderliche Unterlagen zu betrachten, für die Kosten nicht erhoben werden dürfen.

Als Unterlage sind die Komponenten schon deshalb zu betrachten, weil die in Rede stehende Verbindung aus Hard- und Software im Rahmen der modernen Daten- und Vertragsabwicklungsverarbeitung die Aufgaben erfüllt, die bei Einführung der Vorschrift Papier-Unterlagen zukam. (…)

Der BGH hat für eine aus der Unternehmer-Sphäre stammende Business-Software eine entsprechende Bewertung vorgenommen und zugleich ausgeführt, dass eine einheitliche Betrachtung auch insoweit geboten sei, als einzelne Komponenten grund­sätzlich der selbst zu finanzierenden allgemeinen Büroorganisation zuzurechnen seien. Dabei hat der BGH darauf abgestellt, dass der Vertragsgegenstand die Nutzung des auf die Bedürfnisse des Handelsvertreters abgestimmten Softwarepaketes zu einem einheitlichen Preis umfasste, das nach der Verkehrsauffassung als ein einheitliches Produkt zu gelten habe. Diese Erwägung hat entsprechend für die hier gewählte Kombination aus Hard- und Software zu gelten.

Das Gericht vermag keine tragfähigen und handhabbaren Differenzierungsgesichtspunkte zu erkennen, die eine teilweise Aufrechterhaltung und Aufteilung des vom Unternehmer verlangten Entgelts nach den Anteilen des Agentur- und Eigengeschäfts rechtfertigen könnten. Dabei kommt auch zum Tragen, dass die hier gewählte Aus­gestaltung des Handels­vertreterver­hält­nisses dadurch gekennzeichnet ist, dass der Handelsvertreter nicht lediglich die An­prei­sung, die Vermittlung oder den Ab­schluss von Verträgen übernimmt, sondern die gesamte Durchführung des Kraftstoff­erwerbs durch die Kunden der Tankstelle – inklusive Übergabe der Ware, Entgege­n­nahme der Bezahlung und Abrechnung – vom Handelsvertreter ab­gewickelt wird. Das rechtfertigt es, auch die weiteren Funktionen des Stationscomputersystems und des iCash bei der Abrechnung des Agenturgeschäfts in die Bewertung einzu­beziehen, etwa auch die Übersendung des Datenbestandes zur Auswertung und Abrechnung an die Beklagte.

Die Gesamt­betrachtung ergibt, dass es sich bei dem Stations­computersystem – ergänzt für den Bargeldaustausch durch das iCash – um die zentrale Steuerungseinheit für die reibungslose Abwicklung des gesamten Kraftstoffgeschäftes der Be­klagten von der Anlieferung bis zur Erlös­abführung und Preiskontrolle handelt, der produkt­spezifische Zusammenhang dem­nach gegeben ist.

Kommentar von Kay Wagner, Rechtsanwalt bei Ihde & Partner

Die landgerichtliche Entscheidung zeigt eine konsequente Weiterentwicklung der Grundsätze des BGH zu einer zeitgemäßen Anwendung von § 86a HGB. Als die Regelung im Jahr 1953 eingeführt wurde, war die digitale Datenverarbeitung im normalen Geschäftsverkehr noch unbekannt. Auch das gesetzgeberische Leitbild eines Handelsvertreters war ein anderes. Der Gesetzgeber hatte einen Absatzmittler im Blick, der mit seinem Musterkoffer von Haus zu Haus zog und Bestellungen entgegennahm. Dabei erfolgte die Erfassung und Weitergabe der Aufträge noch „analog“, also in Papierform. Aus diesem Grund ist im Gesetz von „Unterlagen wie Mustern, Zeichnungen, Preislisten“ etc. die Rede.

Anders als manche Mineralölgesellschaften meinen, folgt daraus aber nicht, dass die Vorschrift auch tatsächlich nur auf „Unterlagen“ im Sinne des Erfahrungshorizonts der 1950er Jahre und damit nur auf papierförmiges Material anzuwenden ist. Denn das Gesetz ist nach den gängigen Auslegungsmethoden kein toter Buchstabe, der bei Änderung der Lebenswirklichkeit untergeht und überflüssig wird. In der blumigen Sprache des BGH soll dem Gesetz vielmehr „ein lebendig sich entwickelnder Geist innewohnen, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ­ihnen sinnvoll angepasst weitergelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist“.

Das Gesetz geht also mit der Zeit, weshalb der „moderne“ Handelsvertreter auch die kostenlose Überlassung der modernen Hilfsmittel verlangen kann, sofern diese für die Durchführung des Agenturgeschäfts notwendig sind. Dies ist bei dem „Stationscomputersystem“ der Shell und letztlich bei allen gängigen Tankstellen-Kassensystemen der Fall. Daher gibt es ­inzwischen diverse ähnliche Urteile zu ­anderen Farben.

Die Kassensysteme werden in der ­Diskussion oftmals zu Unrecht auf die ­Kassenfunktion im engeren Sinne (Inkasso) verkürzt. Tatsächlich handelt es sich um integrierte Systeme zur Steuerung der gesamten Tanktechnik, die eine Datenleitung zur Unternehmenszentrale beinhalten. Darüber hinaus weisen sie etliche weitere, ausschließlich agenturrelevanten Funktionen wie die Preiseingabe in Kasse und Tanktechnik, Übermittlung der Kartentransaktionsdaten an die Beklagte, Tankinhaltsmesssystem etc. auf.

Die Verpflichtung von Shell zur Erstattung der Leasing-Kosten für die „i-cash“-CMU folgt im Übrigen schon aus dem allgemeinen Auftragsrecht. Nach § 670 BGB ist der Auftraggeber dem Beauftragten zum Ersatz von Aufwendungen verpflichtet, die bei Ausführung des Auftrags entstanden sind. Die Vereinnahmung der Verkaufserlöse im Zusammenhang mit den von ihm vermittelten Geschäften gehört nicht zu den Kernaufgaben des Handelsvertreters, der Geschäfte vermitteln soll.

Das Inkasso ist vielmehr die Angelegenheit des Unternehmens, das auch die damit ­verbundenen Kosten zu tragen hat. Unwirksam ist deshalb auch die in vielen ­Standardverträgen noch vorgesehene ­Verpflichtung von Handelsvertretern zur Beteiligung an den Kreditkartenkosten („Disagios“). Das Landgericht Essen hat einem Betroffenen daher kürzlich einen Erstattungsanspruch zuerkannt.
Erst recht gehören bankähnliche ­Geschäftsbesorgungen wie die bei iCash vorgesehene Vornahme von Bargeldauszahlungen an Kunden nicht zum Auf­gabenspektrum eines Handelsvertreters. Wenn Shell die Stationäre in Abweichung vom gesetzlichen Leitbild dennoch mit dem Inkasso und anderen handelsvertreteruntypischen Tätigkeiten betraut, muss das Unternehmen nach den Grundsätzen des Auftragsrechts auch alle dabei anfallenden Gebühren und sonstigen Aufwendungen erstatten.

Das scheint Shell dem Grunde nach einzusehen und zahlt deshalb monatliche Pauschalen von 250 Euro. Weil diese Pauschalen nicht kostendeckend sind, kann der zur tatsächlichen Aufwendungshöhe fehlende Betrag nach den Grundsätzen der ungerechtfertigten Bereicherung herausverlangt werden.

(Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 5.2016; Autor: Kay Wagner)

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