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Nachgefragt: Rote Karte für die Karte?

02.03.2017 15:01 Uhr
Nachgefragt: Rote Karte für die Karte?
Sind die Produktkarten nun zulässig oder nicht? Das finale Wort ist hier noch nicht gesprochen.
© Foto: Martin Heying

Es herrscht wieder Unruhe an der Tabakfront. Stein des Anstoßes sind diesmal die Produktkarten, die nach Meinung mancher Verbraucher und Politiker unzulässig sind, weil sie die Schockbilder verbergen.

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Da mag sich so mancher Shopbetreiber gewundert haben. Gerade erst hatte sich die Aufregung gelegt, der Tabakverkauf sich wieder normalisiert und die von der Tabakindustrie unterstützten Produktkarten waren in den Betriebsablauf integriert. Dann aber kam es zu ersten Unsicherheiten: Einige Kunden beschwerten sich bei Ordnungsämtern, die wiederum bei den Betreibern und Verbänden nachhakten.

Kernforderung der Beschwerdeführer: Die Faceplates verdeckten die Schockbilder auf den Produktverpackungen und seien somit zu entfernen. In der Presse tauchten außerdem Behauptungen auf, auch beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sei man mit dem Einsatz der Faceplates nicht einverstanden. Doch was ist dran an der Kritik?

Präsentation nicht betroffen?

Der Deutsche Zigarettenverband (DZV) hat dazu eine klare Position: „Anders als vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und einigen wenigen Ordnungsbehörden argumentiert, ist diese Lösung der Tabakwarenhändler eindeutig rechtskonform“, heißt es dort. Der Handel befinde sich im Einklang mit europäischem und deutschem Recht, denn die EU-Tabakproduktrichtlinie (TPD2) sei keine Warenpräsentations-, sondern eine Produktrichtlinie. Wie Tabakwaren in den Geschäften ausgestellt werden, sei folglich Sache der Händler, ist sich DZV-Geschäftsführer Jan Mücke sicher.

Ähnlich sieht das der Spezialist für Regalordnung und Warenvorschübe, POS Tuning. „Grundsätzlich sind wir der Meinung, dass die neue Tabakrichtlinie (TPD2) eine reine ­Verpackungsrichtlinie ist. Die Präsentation von Tabakwaren im Regal wird hier nicht geregelt. Die eingesetzten Produktkarten haben nicht das Verdecken zum Zweck, sondern dienen insbesondere der besseren und schnelleren Orientierung für die Mitarbeiter im Shop“, stellt man bei POS Tuning nüchtern fest.

Für Stephan Zieger, ­Geschäftsführer des Bundesverbands freier Tankstellen (BFT), ist die Lage ebenfalls eindeutig: „Die Produktkarten sind eine gescheite und zulässige Lösung. Bei Ärger können sich unsere Stationen bei uns Rat holen.“ Zieger verweist auf zwei mögliche Arten von ­Ärger: Eine Abmahnung seitens einer Organisation wie des Forums Rauchfrei. Hier rät er zunächst dazu, diese zu ignorieren, da sie rechtlich nicht durchsetzbar sei. Im Zweifel müsse sie von einem Amtsgericht geklärt werden.

Anders liegt der Fall bei einer amtlichen Anordnung, hier müsse der betroffene Shopbetreiber sich umgehend juristisch wehren, zuständig wäre dann das Verwaltungsgericht. Auch Mücke rät Tabakwarenhändlern, möglichen Beschwerden gelassen und selbstbewusst entgegenzusehen.

So einfach scheint es jedoch nicht aus Sicht aller zu sein, denn die Diskussionen um die Produktkarten gehen weiter. Wer entscheidet also endgültig, ob die Face­plates rechtskonform sind? „Konkrete Vorgaben zum Verkauf in den verschiedenen Verkaufsstellen an sich macht die Tabakproduktrichtlinie nicht, diese fallen in die Kompetenz der Mitgliedstaaten“, konstatiert die deutsche Vertretung der europäischen Kommission in Berlin.

Das somit zuständige Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) sieht die Situation wie folgt: „Die Tabakproduktrichtlinie sieht unter an­derem vor, dass Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse nur in Packungen und Außenverpackungen in den Verkehr gebracht werden dürfen, die gesundheitsbezogene Warnhinweise tragen. (…) Die kombinierten ­Text-Bild-Warnhinweise sind in § 14 TabakerzV geregelt. § 11 Tabak­erzV enthält allgemeine Vorschriften zur Kennzeichnung von Tabakerzeugnissen, die für alle gesundheitsbezogenen Warnhinweise gelten. Unter anderem dürfen die Warnhinweise zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht teilweise oder vollständig verdeckt werden.“

Entscheidend scheint also die Einschätzung zu sein, wann dieser Moment des Inverkehrbringens stattfindet. Der DZV versteht darunter den Zeitpunkt, wenn der Verkäufer die Waren an den Kunden zum Verbrauch abgibt. Dabei erhält der Raucher eine rechtskonforme Packung der von ihm gewünschten Marke mit vollständig sicht- und lesbaren Warnhinweisen. Die Kennzeichnungs- und Verpackungsvorschriften werden somit eingehalten.

Überwachung ist Ländersache

So eindeutig sieht es das BMEL nicht und gibt die Entscheidungskompetenz an die Länder weiter: „Ob und welche Maßnahmen im Rahmen der Überwachung konkret getroffen werden, entscheiden die zuständigen Länderbehörden“, heißt es beim Bundesministerium. Und genau von diesen Länderbehörden droht den Tabakverkäufern, die die Produktkarten einsetzen, erst einmal weiterer Ärger.

Zur Klärung des Sachverhaltes beschäftigt sich deshalb die Fach-Arbeitsgruppe „Lebensmittel, Bedarfsgegenstände, Wein und Kosmetik“ (ALB) im Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein unter dem Vorsitz von Peter Seulen mit der Verkaufssituation von Tabakprodukten. Aufgrund der bundesweiten Bedeutung der Fragestellung klärt diese Arbeitsgruppe der Länderarbeitsgemeinschaft Verbraucherschutz für alle Bundesländer die Situation. In einer E-Mail des ALB an das Forum Rauchfrei und den DZV kommt wieder das Thema „Zeitpunkt des Inverkehrbringens“ auf den Tisch.

Hier heißt es unter anderem: „Die ALB stellt fest, dass das Verbot, die gesundheitsbezogenen Warnhinweise bei Tabakerzeugnissen zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens teilweise oder vollständig zu verdecken, gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 der Tabakerzeugnisverordnung auf die Ab­gabe im Handel einschließlich Automaten anzuwenden ist. Das Inverkehrbringen ist nach Art. 2 Nr. 40 der Tabakproduktrichtlinie (TPRL, RL 2014/40/EU) die entgeltliche oder unentgeltliche Bereitstellung von Produkten für Verbraucher – unabhängig von der Herstellung.“

Das lässt aufhorchen. Es geht weiter: „Das Angebot und die Präsentation im Tabakwarenregal des Handels sowie in Automaten jeglicher Art wird von den für die Tabaküberwachung zuständigen Behörden im Rahmen der risikoorientierten Kontrolle angemessen überprüft und bei der Feststellung von Verstößen gegen § 11 Abs. 1 Nr. 4 der Tabakerzeugnisverordnung werden die notwendigen Maßnahmen ergriffen.“ Das mag für den einen oder anderen immer noch nicht verständlich sein, denn schließlich will man ja am POS wissen, ob die Produktkarten bleiben dürfen.

Die Pressesprecherin des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein, Nicola Kabel, sorgt hier für mehr Klarheit: „Nach Rechtsauffassung der ALB sind die Vorsteckkarten nicht mit der Tabakverordnung vereinbar, das weitere Vorgehen befindet sich noch in der Abstimmung.“ Erst wenn diese erfolgt ist, wird auf politischer Ebene weiter entschieden. Und auch dann ist an dieser Stelle noch keine Rechtssicherheit eingetreten, letztlich werden sich wohl die Worte von BFT-Geschäftsführer Zieger bewahrheiten: „Das erste Urteil, das hier gesprochen wird, wird wegweisend sein.“

Kommentar:

„Da steh ich nun ich armer Tor und bin so klug als wie zuvor“: Die Situation für Shopbetreiber ist derzeit geradezu klassisch verworren. Während Verbände und Shopeinrichter überzeugt sind, dass die Produktkarten vor den Tabakwaren rechtskonform sind, sehen das die Mitglieder der Facharbeitsgruppe ganz anders. Was aber soll jetzt der Shop­betreiber tun? Putativ alle Karten in die Restwert-Tonne werfen? Wohl eher nicht! Zunächst muss die Arbeitsgruppe ihre „Abstimmung“ beenden. Die entschei­dungsrelevanten, politischen Gremien der Länder werden dann wahrscheinlich einer entsprechenden Empfeh­lung der Arbeitsgruppe folgen. Das wird ziemlich sicher die Verbände auf den Plan rufen und es wird wohl auf eine gerichtliche Klärung hinauslaufen. Bis dahin sollten die betroffenen Stationsleiter etwaigen Anfechtungen entspannt entgegensehen und das Angebot ihrer Dachverbände oder Muttergesellschaften wahrnehmen, sich juristisch beraten zu lassen.
Martin Heying, Tabakexperte von Sprit+

(Autor: Martin Heying; Der Artikel erschien in Sprit+ Ausgabe 3/2017.)

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